EU – neues Zwangslizenzsystem für Patente
Kurz vor der Sommerpause hat die Europäische Union einen neuen Verordnungsvorschlag zu Zwangslizenzen vorgelegt und bat Verbände und Interessenvertreter um deren Meinung – no rest for the wicked!
Während der Covid-19-Pandemie wurde der Ruf laut, sämtlichen Covid-19-Patentschutz weltweit auszusetzen (TRIPS-Waiver), mit dem Ziel, Patente als Hindernis aus dem Weg zu räumen, welche Zugang zu Impfstoffen oder medizinischer Betreuung versperren könnten. Zu Recht könnte man meinen, dass Patente in der Corona-Krise keine Rolle spielten, weil die tatsächlichen Hindernisse andere waren: Rohstoffknappheit, Impfrohstoff-Embargos, fehlende Produktionskapazitäten, die Hortung von Impfstoffen in Industrieländern. Es ist allerdings nicht unrichtig, was die Befürworter des TRIPS-Waivers über die Möglichkeit der Vergabe von Zwangslizenzen anführten: kompliziert, langwierig, nicht einheitlich geregelt. Nun liegt ein Verordnungsvorschlag der EU-Kommission vor, der zum Ziel hat, ein effizienteres und einheitliches Zwangslizenzsystem in der EU aufzubauen. Die Zwangslizenz muss schnell erteilt werden können und zu fairen Bedingungen.
In jedem Fall muss die Zwangslizenz erreichen, dass die Krise tatsächlich besser gemeistert wird. Das heißt, die Zwangslizenz sollte absolut auf diejenigen Fälle beschränkt sein, in denen dies zur Krisenbewältigung unabdingbar ist. Dies mag sich selbstverständlich anhören, aber TRIPS-Waiver-Befürworter wie Nobelpreisträger Joseph Stieglitz forderten während der Pandemie: Lasst uns die Patente vernichten und danach herausfinden, welche (weiteren) Hindernisse es tatsächlich gibt.
Der Patentinhaber sollte zudem – falls irgend möglich – trotz Zwangslizenz in der Lage sein, seine Entwicklungskosten durch Umsätze zu kompensieren und auch eine gewisse Gewinnerwartung haben dürfen. Andererseits muss auch das wirtschaftliche Risiko des Lizenznehmers vertretbar sein, sonst wird sich niemand dazu bereitfinden. Schließlich verlangt der Verordnungsentwurf, dass der Rechteinhaber den Lizenznehmer in die Lage versetzen muss, das krisenrelevante Produkt herzustellen – also Know-how-Transfer. Auch hier muss eine Zumutbarkeits-Nutzen-Balance gefunden werden.
Der Teufel steckt im Detail – bleibt zu hoffen, dass trotz Sommerpause genügend Augen auf den Entwurf geschaut haben, um den Zugang zu Medizin in Krisenzeiten sicherzustellen – ohne sinnlose Zerstörung von Patenten.
Autorin: Dr. Ute Kilger, Patentanwältin, Boehmert & Boehmert, Berlin
Der IP-Kommentar ist soeben in der |transkript-Ausgabe 3/2023 erschienen.